Anbei eine (von mir gekürzte, weil zu lang) Publikation von DDr. Peter Voitl, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde:
Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen
Etwa jeder fünfte Heranwachsende gilt als übergewichtig und rund sieben Prozent sind sogar als fettsüchtig (adipös) zu bezeichnen.
Fettsucht gilt laut Weltgesundheitsorganisation WHO als Krankheit und die WHO spricht von einer „globalen Epidemie des 21. Jahrhunderts“.
Weltweit gelten ebenso viele Menschen als übergewichtig wie unterernährt.
Anteil betroffener Kinder und Jugendlicher
Nach einer Studie der Wiener Sozialmedizinerin Prof. Rieder 2004 haben 28 Prozent der Jungen zwischen 6 und 18 Jahren Übergewicht, bei den Mädchen in dieser Altersgruppe sind es 25 Prozent. Die Zahl der übergewichtigen Kinder ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen, laut einer Untersuchung aus Halle hat sich seit 1985 der Anteil der übergewichtigen Jungen mehr als verdoppelt; bei den Mädchen war jedes dritte zu schwer – vor 15 Jahren war es jedes neunte. Etwa 40 Prozent der übergewichtigen Kinder haben auch als Erwachsene Übergewicht. Übergewicht hat neben körperlichen auch psychische Folgen.
Übergewicht im Kindesalter
Gesunde Einjährige haben normalerweise bis zu 30 Prozent Körperfett und auch bei dicken Kleinkindern (jünger als drei Jahre) besteht noch kein erhöhtes Risiko, dass aus ihnen fettleibige Erwachsene werden.
Laut einer Studie von Whitaker aus Cincinnati, bei der 854 Menschen über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren nach der Geburt untersucht wurden, steigt die Wahrscheinlichkeit, auch als Erwachsene übergewichtig zu sein ab einem Alter von drei Jahren aber an.
Übergewichtige Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren haben eine Wahrscheinlichkeit von 55%, dass ihnen eine Zukunft als übergewichtige Erwachsene bevorsteht;
im Alter von 10 bis 14 Jahren sogar 67%. Je später eine Behandlung begonnen wird, umso schwieriger ist sie und umso geringer sind die Erfolgsaussichten.
Ursachen für Übergewicht
Übergewicht entsteht wenn die Energiezufuhr den Energieverbrauch übersteigt. Die Ursachen sind vielfältig; neben psychischen Faktoren spielt natürlich die wesentliche Rolle die Art der Ernährung und das Ausmaß der körperlichen Aktivität.
Gerade Jugendliche sind starker Werbung durch die Nahrungsmittelindustrie ausgesetzt. Es konnte gezeigt werden, dass Sieben- bis Neunjährige täglich rund eineinhalb Mal mehr Fleisch und Wurst essen, als zu empfehlen wäre; hingegen nur etwas mehr als halb so viel Obst oder Gemüse wie empfohlen.
Chronischer Bewegungsmangel lässt das Körpergewicht kontinuierlich wachsen. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ergab, dass übergewichtige Kinder täglich mehr als zwei Stunden fernsehen.
Ausdauertests ergaben eine deutlich reduzierte Kondition im Vergleich zu vor 25 Jahren.
Es gibt auch Erbanlagen, die Übergewicht begünstigen können. Als diesbezügliche Ursache des Übergewichts werden immer wieder so genannte "thrifty genes" („Spar-Gene“) diskutiert. In früheren Zeiten mit wiederkehrenden Hungersnöten hatten Menschen demnach einen genetischen Vorteil, wenn sie bei Nahrungsüberfluss besonders schnell Reserven anlegten.
Auch soziale Ursachen sind bekannt; laut einer Gesundheitsstudie des Berliner Senats waren im Jahr 2001 etwa doppelt so viele Schulanfänger aus sozial schwächeren Gruppen übergewichtig als Kinder aus Familien mit hohem Sozialstatus.
Was jedoch die Verwertung der Kalorien angeht, gibt es interessanterweise nach einer Untersuchung der Mayo Clinic keine nennenswerten Unterschiede zwischen Übergewicht und Normalgewicht, es zeigte sich vielmehr eine ganz andere Komponente: Die schlanken Testesser wurden durch eine hochkalorische Diät unruhig und aktiv und verbrannten bis zu zwei Drittel der überschüssigen Kalorien; die anderen lagerten sie als Hüftspeck ab.
Nach einer neueren Theorie könnte auch ein Virus eine Rolle spielen, der sogenannte Adenovirus 36 (Ad-36). Dieser Effekt wurde bisher lediglich bei Hühnern und Mäusen nachgewiesen.
Neben Erbanlage, Ernährung und mangelnder Bewegung können auch verschiedene Krankheiten eine Rolle spielen, beispielsweise der Schilddrüse.
Vielfach unterschätzt werden allerdings noch immer die psychischen Faktoren, die Übergewicht verursachen können. Bei vielen Kindern wirkt Essen als Angstlöser und hilft gegen Stress und Langeweile.
Folgeerkrankungen
Übergewicht kann zu einer Reihe von Folgekrankheiten führen. In den USA kostet die Behandlung der Fettsucht bereits sieben Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben.
Das Risiko für hohen Blutdruck ist erhöht. In der Folge kann es zu Ablagerungen kommen, die die Blutgefäße verengen können (Arteriosklerose, Verkalkung).
Ein Schlaganfall wird wahrscheinlicher.
Ein hohes Körpergewicht erhöht die Gefahr, Arthrose (Gelenkerkrankung) zu entwickeln.
Diabetes-Risiko steigt: Das Hormon Insulin wird zwar produziert, wirkt aber nicht mehr ausreichend. (Metabolisches Syndrom)
Das Nierenkrebs-Risiko ist erhöht.
Atemnot und Kurzatmigkeit, das sogenannte Schlafapnoesyndrom.
Psychische Folgen, z. B. Depression
Soziale Folgen: Laut einer Studie von Gortmaker aus Harvard verdienen Übergewichtige pro Jahr 6700 Dollar weniger Lohn als Schlanke in vergleichbaren Positionen.
Sinnvolle Untersuchungen
Übergewicht ist nur in sehr seltenen Fällen Ausdruck einer anderen Grunderkrankung, dennoch sollten sowohl eine laborchemische als auch eine psychologische Untersuchungen durchgeführt werden.
Bestimmung von Blutdruck, Gesamt-, HDL- und LDL-Cholesterin, Triglyzeride (nüchtern), Schilddrüsenwerte, sowie in Abhängigkeit von der familiären Belastung: Nüchternblutzucker, Insulin, Homocystein, Kreatinin, Elektrolyte und Harnsäure im Serum.
Ein oraler Glukosetoleranztest ist meist auch angezeigt.
Die psychologische Untersuchung hat folgende Ziele:
Gibt es einen Grund, der gegen eine Therapie spricht? (z. B. bei bestimmten Essstörungen wie Bulimie)
Unterstützung und Steuerung des Therapieprozesses
Bestimmung von Parametern für die Beurteilung des Behandlungserfolges.
Behandlung
Grundsätzlich sollte jedem übergewichtigem Patienten eine Behandlung ermöglicht werden.
Ziel der Bemühung ist eine Verringerung des Körperfettanteiles, eine dauerhafte Verbesserung der Ernährungsgewohnheiten einerseits und Förderung von aktivem Bewegungsverhalten andererseits (Ausdauersport, z. B. Joggen).
Eltern müssen ein positives Vorbild abgeben und sich in die Behandlung integrieren lassen. Dazu müssen Sinn und Zweck den Eltern einleuchten.
Ein Ernährungsprotokoll sollte auf alle Fälle geführt werden, damit bewusst wird, was tatsächlich gegessen und getrunken wird.
Zusammensetzung der Nahrung und Energiegehalt (Kalorien) sollte dabei mit Angaben der Uhrzeit tabellarisch aufgeschrieben werden.
Zunächst müssen die Berichte engmaschig besprochen werden und behutsam in Richtung sinnvoller Ernährung dirigiert werden.
Gemeinsames Kochen mit den Kindern ist unterstützt Motivation und Freude an der Veränderung.
Ziel sollte eine abwechslungsreiche Mischkost im Rahmen von 3 Mahlzeiten ohne Zwischenkalorien sein.
Bei Kindern im Alter von 2 Jahren bis 6 Jahren, die übergewichtig sind, kann es ausreichend sein, das aktuelle Gewicht zu halten. Das Übergewicht sinkt durch das Wachstum in den altersgemäßen Normbereich.
Setzen Sie sich realistische Ziele.
Beispielsweise 1 kg Gewichtsverlust im Monat. Längerfristige Ziele wie ein Gewichtsziel für das nächste Jahr sind hilfreich. Es ist durchaus sinnvoll, den Ernährungsplan mit einer Diätassistentin gemeinsam zu erstellen, auch eine entsprechende psychologische Unterstützung ist empfehlenswert.
Sehr hilfreich ist regelmäßige Bewegung in Form eines Ausdauertrainings (z. B. Joggen).
Viele Eltern meinen, dass ihr Kind gar nicht viel isst. Bei genauer Nachfrage stellt sich oft heraus, dass große Mengen an Limonade, Eistee oder Cola konsumiert werden. Das ideale Getränk ist jedoch kalorienfrei (Wasser, Tee).
Gemeinsame Mahlzeiten gehören zu den effektivsten Methoden. Eine Untersuchung aus Israel schulte in einer Gruppe nur die Kinder und in einer anderen nur die Eltern. Das Ergebnis: Das Training der Eltern bewirkte eine stärkere Gewichtsreduktion bei den Kindern als ein alleiniges Training der Kinder selbst.
Ernährungstipps
Viel: Getränke (am besten Wasser oder zuckerfrei) und pflanzliche Lebensmittel
Mäßig: tierische Lebensmittel (fettarme Varianten)
Wenig: fett- und zuckerreiche Lebensmittel
Die Gewichtsabnahme sollte langsam erfolgen. Das ist sicherer und erfolgreicher als eine Crashdiät und verhindert den Jojo-Effekt.
Ernährungsprotokolle helfen bei Planung und Einkauf.
Bevorzugen Sie frisches Obst und Gemüse.
Essen Sie an 2 bis 3 Tagen in der Woche kein Fleisch.
Die Zufuhr von Kalorien sollte nicht höher sein als der Kalorienverbrauch.
Kohlenhydrate: 5–6 Gramm je Kilogramm Körpergewicht
Fett: 0,8–1 Gramm je Kilogramm Körpergewicht
Eiweiß: 0,8–1 Gramm je Kilogramm Körpergewicht
Verbote für bestimmte Lebensmittel sollten nicht ausgesprochen werden.
Wie kann man das Gewicht nach einer Gewichtsreduktion halten?
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Langsamer stetiger Gewichtsverlust bis zu Wohlfühlgewicht
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